Märkische Oderzeitung 5.1.2016
WG statt Heim – das ist das Anliegen eines Wohnkonzeptes, das die Gesellschaft für Gesundheit und Pflege in Angermünde umsetzt. In Wohngruppen leben junge und alte Menschen mit ganz unterschiedlichen körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen zusammen und helfen einander.
Micha ist 26. Er ist vor kurzem von Zuhause ausgezogen und wohnt in einer WG. Hier hat er sein eigenes Zimmer, um sich mal zurückziehen zu können, findet bei Bedarf aber immer Gesellschaft in der Gemeinschaftsküche und im offenen “Wohnzimmer”. Nichts Ungewöhnliches für viele junge Erwachsene, die nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit streben.
Ungewöhnlich ist allerdings die Wohngemeinschaft. Hier leben zur Zeit sechs Menschen zwischen 25 und 75 Jahren mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen. Micha sitzt im Rollstuhl. Er ist nach einem brutalen Überfall schwer behindert, lag wochenlang im Koma und musste alles neu erlernen. Nach monatelangem Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt hätte der junge Mann in ein Pflegeheim ziehen müssen. Doch da fand er die neu eröffnete Wohngruppe in Angermünde, die auch jungen Menschen mit Behinderungen ein selbst bestimmtes Leben in eigenen vier Wänden ermöglicht. Eine Wohngruppe für fünf Bewohner hat die Gesellschaft für Gesundheit und Pflege GfG bereits in der Berliner Straße 46 eingerichtet. Nun wurde im ehemaligen Verwaltungsgebäude der BWG in der Schleusenstraße 7 eine weitere behindertengerechte Wohngruppe eröffnet. Hier leben junge Erwachsene zusammen. Aber auch zwei ältere Damen sind schon eingezogen. “Unser Konzept schließt niemanden aus. Es gibt schließlich nicht “den” Behinderten. Es gibt unzählige individuelle Bedürfnisse und Einschränkungen. Wir bieten wie ein Baukastensystem unterschiedlichste Hilfen, ambulante Pflegeleistungen, Eingliederungshilfen und niedrigschwellige Betreuungsangebote an, aus denen die Betroffenen das für sie Passende auswählen können, statt dass wir die passenden Betroffenen aussuchen”, erklärt Geschäftsführerin Anja Pfeifer.
Die Quer-Beet-Mischung hat einen weiteren Vorteil. Die Bewohner bringen unterschiedliche Kompetenzen mit und helfen sich gegenseitig. “Wenn sich drei Schwache aneinander stützen, fallen sie auch nicht um”, beschreibt Anja Pfeifer das Prinzip, das für sie wahrhaftige Inklusion bedeutet. So planen alle gemeinsam den Einkauf. Ein junger Mann, der als einziger uneingeschränkt mobil zu Fuß ist, hilft beim Kochen für alle. Eine ältere Dame schält Kartoffeln, erzählt gern aus ihrem Leben und eine andere Bewohnerin achtet konsequent auf Ordnung im Haus und gesunde Ernährung. Und dann sind da noch bei Bedarf Betreuer und Pfleger und auch Angehörige, die wie eine große Familie gemeinsam zu Weihnachten ein Festessen in der WG zelebrierten. In der ersten Etage gibt es zudem zwei Zimmer für Menschen mit Pflegebedarf. In der zweiten Etage sind bald weitere Wohnräume für vier Bewohner bezugsfertig. Bis zum Sommer wird auch der Innenhof attraktiv gestaltet. Dort hat sich in einem Nebengebäude ein Therapiehaus mit Psychologin sowie Praxen für Ergotherapie, Logo- und Physiotherapie etabliert. Kurze Wege auch für die WG-Bewohner.